Ein Motivations-Redner behauptet, dass man jede Fähigkeit innerhalb von 20 Stunden erlernen kann. Stimmt das?
Josh Kaufman ist ein amerikanischer Lerncoach und Motivations-Redner und der Autor von The First 20 Hours: How to Learn Anything… Fast. In seinem Buch stellt er seine Strategie vor, die (so er behauptet) jeden befähigt, eine neue Fähigkeit innerhalb von 20 Stunden zu erlernen. Wie funktioniert diese Strategie, und kann sie den versprochenen Erfolg tatsächlich liefern?
Was heisst „gut“?
Bevor ich die Strategie von Josh Kaufman erkläre, möchte ich eine Frage ansprechen, die regelmäßig gestellt wird: Wie lange braucht man, um eine Sprache zu lernen? Die Antwort hängt von dem Ziel des Fragestellers ab. Ab wann kann ich sagen, dass ich eine Sprache gelernt habe? Ab wann kann ich behaupten, dass meine Sprachkenntnisse „gut“ sind?
Das Erlernen einer Sprache ist eine kontinuierliche Aufgabe. Es gibt immer etwas zu lernen, und es gibt immer Schwierigkeiten, die es zu meistern gilt. Deshalb ist es besser zu fragen: Was kann ich jetzt mit meinen Sprachkenntnissen tun und wie weit sind sie von meinem Wunschzustand entfernt? Kann ich mich z.B. bereits in der Sprache vorstellen? Wenn nicht, wie lange brauche ich, um diese Fähigkeit zu erlernen? Wie lange brauche ich, um die Zahlen der Fremdsprache zu lernen? Wenn ich die Fremdsprache nur im Urlaub brauche und ich es bisher geschafft habe, mich im Hotel, im Restaurant und an der Hotel-Bar auszudrücken, dann kann ich behaupten, dass meine Sprachkenntnisse gut genug sind. Ich bin zwar nicht perfekt, aber mit meinen jetzigen Sprachkenntnissen decke ich meine tatsächlichen Bedürfnisse ab.
Die 5 Schritte der Strategie von Josh Kaufman
Entscheiden Sie sich, ob Sie das Ziel verfolgen wollen und legen Sie genau fest, was Sie erreichen wollen. Wie genau sieht es aus, wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben?
Oft bleibt das ganze Vorhaben an diesem Schritt hängen. Viele Menschen haben keine genaue Vorstellung davon, was sie erreichen wollen. Die Begrenzung des Vorhabens auf 20 Stunden sorgt dafür, dass Sie realistischer und kurzfristiger Ziele festlegen, die Sie innerhalb von 20 Stunden leichter erreichen können.
Finden Sie heraus, aus welchen Komponenten die Fähigkeit besteht.
Beim Sprachenlernen unterscheidet man zwischen den produktiven Sprachkenntnissen (sprechen, schreiben) und den rezeptiven Sprachkenntnissen (lesen, hören). Legen Sie getrennte Ziele für die rezeptiven und die produktiven Sprachkenntnisse fest. Hierzu sollten Sie wissen, dass der passive Wortschatz in jeder Sprache immer größer ist als der aktive, egal, wie vertraut man mit der Sprache ist. Mit anderen Worten: Sie werden immer mehr (passiv) verstehen, als Sie (aktiv) ausdrücken können. Dann gibt es Wortschatz und Struktur (Grammatik); hier ist es hilfreich, einen Trainer um Rat zu bitten oder ein Lernbuch zu kaufen. Sie erhalten Hinweise darüber, wie Sie sich die Sprache in für Sie persönlich „mundgerechten Häppchen“ einverleiben können.
Finden Sie 3 bis 5 Ressourcen, mit denen Sie Ihre Fähigkeit erlernen können.
Stellen Sie Ihr Sprachniveau fest. Fangen Sie mit dem gemeinsamen Referenzrahmen für Sprachen der EU (Englisch: Common European Framework of Reference, kurz CEF) an. Suchen Sie nach Büchern und Selbstlernkursen, die zu Ihrem Niveau passen (Tipp: Kaufen Sie Bücher und Materialien, die CEF-konform sind). Analysieren Sie die Materialien: Ist der Wortschatz für Ihre Bedürfnisse relevant? Ist das Niveau insgesamt verständlich? Welche Komponenten kommen in allen Büchern/Kursen vor? Wo sind die gemeinsamen Nenner? Wenn Sie das feststellen, dann wissen Sie z.B., welche Grammatik Sie lernen sollten.
Sorgen Sie dafür, dass Ihre Lernumgebung frei von Störfaktoren ist. Sorgen Sie ebenfalls dafür, dass Faktoren vorhanden sind, die das Lernen fördern (z.B. dass Ihre Lernmaterialien immer greifbar sind).
Wir sind umgeben von Personen, Dingen und Umständen, die beim Lernen als „Störfaktoren“ wirken können: Familie, Kinder, Freunde, Haustiere, Smartphones, E-Mail, usw. Sie brauchen eine „Auszeit“ von solchen Faktoren. Ja, heutzutage ist Zeit ein knappes Gut. Aber 20 Stunden über einen Monat verteilt sind weniger als 40 Minuten pro Tag. Finden Sie täglich 40 Minuten nur für sich. Jeder Mensch ist anders: Ich kenne Menschen, die Hintergrundgeräusche brauchen, um sich zu konzentrieren. Andere lernen am besten, indem sie sich bewegen. Suchen Sie sich die Lernumgebung, die zu Ihnen passt!
Verpflichten Sie sich, die 20 Stunden durchzuhalten.
20 Stunden sind nicht zu viel Zeit, aber reichen aus, um ein Ergebnis zu erzielen und auch feststellen zu können, ob Ihnen die Sprache gefällt. Die ersten Stunden sind oft mit Frust und Anstrengung verbunden. Sie werden eventuell feststellen, dass der Fortschritt langsamer ist als Sie sich erhofft haben. Es besteht die Gefahr, dass Sie nach ein paar Stunden frustriert aufgeben. Wenn Sie sich dazu verpflichten, die 20 Stunden unter allen Umständen durchzuhalten, sorgen Sie dafür, dass Sie diese gefährliche Zeit überwinden.
Die Bereitschaft ist wichtiger als die Strategie
Die Strategie vom Herrn Kaufman finde ich sehr interessant, aber auch nichts Neues. Was ich für viel wichtiger halte, ist die Bereitschaft, etwas Neues zu lernen. 20 Stunden durchzuhalten ist weniger schmerzhaft und kostet weniger Kraft als ein ganzes Jahr oder mehrere Jahre aushalten zu müssen. Allerdings: wenn der Mensch etwas unbedingt tun will, dann ist es relativ egal, wie lange es dauert und was es kostet.