Warum ich einem Hund zu verdanken habe, dass ich Deutsch sprechen kann.
„Wo ist er?“, werde ich immer wieder gefragt. Die Leute fragen nach meinem Hund, Hermes. Die besorgten Mienen der Fragenden lassen ahnen, dass sie wissen, dass meine Antwort nicht positiv ausfallen wird. Und ja – ich muss ihnen sagen, dass Hermes mit fast 15 Jahren gestorben ist. Es folgt ein langes Gespräch über ihn. Mehrmals täglich führe ich so ein Gespräch. Typisch Hermes – immer das Gesprächsthema Nummer 1.
Hermes kam zu mir, kurz nachdem ich nach Deutschland gezogen war. Ohne Sprachkenntnisse und ohne das nötige Geld, an einem Sprachkurs teilzunehmen. Meine Freundin konnte perfekt Englisch und wollte nur noch Englisch mit mir sprechen. Auch in der Sprachschule, in der ich damals arbeitete, wollten alle nur Englisch reden. Ich lebte in einer Blase aus Englisch und hatte, obwohl ich mich in Deutschland befand, keine Gelegenheit, Deutsch zu sprechen.
Plötzlich jedoch musste ich mit Hermes mehrmals täglich Gassi gehen und war der Bayerisch sprechenden Welt schutzlos ausgeliefert. Andere Hundebesitzer und Spaziergänger stellten Fragen: „Wie heißt er?“, „Was ist er für einer?“, „Bub oder Mädl?“, „Ist er brav?“. Natürlich habe ich kein Wort verstanden, tat aber so, als ob ich verstehen würde. Einfach mal nicken und „Ja“ sagen. Und hoffen, dass das als Antwort reichen würde. Ein lächelndes Gesicht, begleitet von dem Wort „Schee“, hieß, soviel verstand ich bald, dass die Person Hermes gegenüber positiv eingestellt war. Da das Gespräch nicht zu vermeiden war und sich die Fragen meist wiederholten (Rasse, Alter, Herkunft), fing ich an, mich darauf vorzubereiten. Ich kam mehr und mehr ins Gespräch – ich musste ja, ich hatte keine andere Wahl.
Hermes kam zu uns über den Tierschutzverein „Tierfreunde Regensburg“. Aus Dankbarkeit fing ich an, mich im Verein zu engagieren. Gassi gehen, Hunde und Katzen füttern, Zwinger putzen, Spenden sammeln. Dann kam ich auf die Idee, die Vereins-Webseite zu gründen und übernahm die Verantwortung für die Pflege der Webseite und den E-Mailverkehr. Plötzlich hatte ich einen Grund, nicht nur Deutsch zu sprechen, sondern auch Deutsch zu schreiben.
Nach und nach übernahm ich mehr Verantwortung: Für die Vermittlung von Hunden und Katzen, für die Marketing-Aktivitäten, Spendenaufrufe, usw. Telefongespräche und Vorkontrollen bei Interessenten waren an der Tagesordnung. Zielgerichtet verbesserte ich meine Sprachkenntnisse.
Es ist erstaunlich, wie wenig wir in unserer modernen Welt mit anderen Menschen sprechen müssen. Z.B. kann man im Supermarkt einkaufen, ohne jemals ein Wort mit anderen Menschen austauschen zu müssen. Auch wenn man unterwegs ist, braucht man mit keinem zu reden. Außer man hat einen Hund dabei. Und mit Hermes unterwegs zu sein, bedeutete ständig angesprochen zu werden.
Ich frage mich oft, wie gut meine Deutschkenntnisse heute wären, wenn ich Hermes nicht gehabt hätte. Kommunikation braucht einen Anlass. In meinem Fall hieß dieser Anlass Hermes.
Ich habe so viele nette Menschen kennen gelernt und Freundschaften geknüpft, nur weil ich mit einem Hund unterwegs war.
Liebe Englischlerner, die Botschaft dieses Artikels ist die: Wenn Sie kommunizieren möchten, brauchen Sie immer einen Anlass dazu. Und wenn Sie keinen Anlass haben, dann schaffen Sie sich einen.
Hermes: geboren 1. September 1998, gestorben am 27. Mai 2013.