Vor einigen Wochen kam ich mit einer Trainerin ins Gespräch, die auf eine bestimmte Art von Wirtschaftscoaching spezialisiert ist. Als sie erfuhr, dass ich Englischtrainer bin, sagte sie mir, sie hätte furchtbare Angst davor, Englisch zu sprechen. Ihre Englischkenntnisse seien „schlecht“, sie sei ein „fauler Mensch“ und außerdem sei sie als Mathematikerin nicht in der Lage, eine Sprache zu lernen. Sie habe Existenzangst, weil immer öfter Anfragen für Coachings kämen, die ganz oder teilweise in der englischen Sprache abgehalten werden sollen.
Ich bot ihr an, ihre Kenntnisse jetzt und sofort zu überprüfen, indem wir Englisch redeten. Ihre Augen zeigten deutlich, dass sie in diesem Moment nicht dazu bereit wäre, eine Konversation auf Englisch anzufangen.
Mut
Ich fragte sie, ob sie sich als ängstlichen Menschen bezeichnen würde und ob sie jede ängstliche Situation vermeide. Ganz und gar nicht, sagte sie und erzählte mir mehrere Geschichten darüber, wie sie ihre Angst in verschiedenen Phasen ihres Lebens überwunden hat, um mit etwas Neuem und Ungewöhnlichem anzufangen.
Mit 25 wurde sie Eigentümerin eines Ladens und arbeitete 7 Tage der Woche, jahrelang bis der Laden schließlich Gewinnen machte. Sie erzählte mir, wie sie sich dazu gebracht hat, vor hunderten von Menschen zu reden. Sie erklärte, wie sie vor kurzem alles auf den Kopf gestellt hat, um mit einem neuen Beruf als Coach anzufangen, obwohl sie keine besondere Ausbildung absolviert hat. Zu allem Überfluss ist sie vor kurzem auch Mutter geworden.
Risikobereit
In allen anderen Bereichen ihres Lebens war es für sie selbstverständlich, Risiken einzugehen: Sie wollte unbedingt etwas tun, sie wusste, dass sie es konnte, und hatte das Gefühl, dass es für sie möglich wäre (sie wählte ihre Ziele sorgfältig aus, um die Risiken in Schach zu halten).
Na ja, ganz ohne Angst ging es auch nicht. Aber sie erkannte, dass die Angst vor der Tat nie der Wirklichkeit entsprach. Sobald sie etwas ausprobiert hatte, verlor sie ihre Angst. Um ins Handeln zu kommen, brachte sie sich ständig in Situationen, wo sie gezwungen wurde, trotz ihrer Angst zu handeln. Durch unser Gespräch erkannte sie, dass sie, wenn sie ihre Angst vor Englisch überwinden wollte, genau das tun müsste, was sie immer getan hat.
Echte Angst?
War es tatsächlich Angst, die sie empfunden hat? Die Angst davor, sich zu blamieren, war bestimmt zum Teil dabei. Aber vielleicht war es auch Vernunft? Oder ein gesundes Maß an Vorsicht? Selbstschutz vielleicht? Vielleicht hat sie erkannt, dass die Gefahr zu hoch für sie wäre. Stuntmänner und Stuntfrauen gehen tagtäglich berufsbedingte Risiken ein, die für sie tödlich enden könnten. Mit zunehmender Gefahr spielt Sicherheit eine immer wichtigere Rolle. Ein Stuntmann bzw. eine Stuntfrau, der/die zu risikofreudig und nicht sicherheitsbewusst wäre, wäre längst tot.
Jeder Mensch ist anders
Wir Menschen sind nicht in allen Situationen gleich. Die eine Tätigkeit ist für einen Menschen eine Normalität, für den anderen ist diese Tätigkeit mit solchen Ängsten verbunden, dass er die Situation am liebsten ganz vermeidet. Wir vergessen auch, dass wir meistens in neuen Situationen, die für uns längst Gewohnheit geworden sind (Autofahren, z.B.), Angst empfunden haben. Erfahrung, Wissen und Können helfen uns, ängstliche Situationen zu relativieren und zu meistern.
Die besagte Frau fängt jetzt an, ihre Englischkenntnisse aufzufrischen und zu erweitern. Wir arbeiten daran, sie fit für Präsentationen zu machen. Sie arbeitet nur mit Präsentationen und nur mit ihren Themen bzw. ihrem Arbeitsbereich. Ihr Ziel ist es, in der Lage zu sein, eine Präsentation zu ihrer Zufriedenheit (bis zu 80%, nicht bis zu 100%) zu halten. Und dann nimmt sie einen englischsprachigen Auftrag an….