Eine Sprache zu verstehen bedeutet nicht nur, das Sprechen der Sprache zu üben, sondern auch das Hören der Sprache zu trainieren. Die gehörte Sprache zu verstehen heißt, mit verschiedenen Aussprachen, Geschwindigkeiten, Wörtern usw. zurecht zu kommen. Hörerfahrung aufzubauen, indem verschiedene Quellen benutzt werden, ist etwas, was der Lerner selbst jederzeit tun kann. Viele Sprachlerner, die unzureichende Erfahrung mit der Aussprache haben, meinen, es sei sehr schwierig, Muttersprachler zu verstehen. Doch mit etwas gezielter Übung und realistischem Denken kann man viel Spaß und Erfolg mit Audiotexten von Muttersprachlern haben!
Überzeugungen
1. Die Briten sind leicht zu verstehen, die Amerikaner nicht
Diese Überzeugung hat viel mit der deutschen Einstellung gegenüber Amerikanern zu tun, aber auch damit, dass im deutschen Schulsystem meist britisches Englisch bevorzugt wird (na ja, wir sind alle in der EU, oder?).
Natürlich gibt es Amerikaner, die auf eine Art und Weise sprechen, die man als „Kaugummi-Englisch“ beschreiben könnte, doch auch in Großbritannien gibt es verschiedene Dialekte und Aussprachen, die sogar für Briten selbst schwer zu verstehen sind.
Übung:
Sie hören zwei Audioaufnahmen. Wer ist leichter zu verstehen?
Aufnahme 1: Barack Obama
Aufnahme 2: Jamie Oliver
2. Ich muss mich ständig konzentrieren wenn ich die Sprache höre, sonst lohnt es sich nicht
Stellen Sie sich vor, Sie müssten sich auf das Radio konzentrieren wenn Sie autofahren, um jedes Wort verstehen zu können, so dass Sie jederzeit in der Lage wären, genau den Wortlaut des Radiomoderators wiederzugeben.
Das wäre natürlich unsinnig. Sie würden das nie von sich erwarten. Wenn Sie fahren, konzentrieren Sie sich dabei (hoffentlich) auf die Straße. Sie hören entspannt zu, sind oft gedanklich woanders, an einigen interessanten Stellen hören Sie aufmerksamer zu, an anderen Stellen lassen Sie das Radio einfach laufen. Trotzdem sind Sie in der Lage, die vermittelten Informationen aufzunehmen und auch wiederzugeben.
Wie kann das sein?
– Sie sind entspannt – bei der Aufnahme von neuen Informationen ist das sehr wichtig
– Was Sie hören, knüpft an Ihre sprachlichen Erfahrungen an. Das heißt, Sie sind in der Lage, vorherzusagen, was der Sprecher höchstwahrscheinlich als nächstes sagen wird, weil Ihre Erfahrung mit der deutschen Sprache Ihnen das ermöglicht.
Beispiel: „Heute tritt der Umweltminister wegen eines Skandals…“ – Sie wissen, dass erfahrungsgemäß „zurück“ als nächstes kommt und erwarten entsprechend, dieses Wort zu hören.
– Was Sie hören, knüpft an Ihr vorhandenes Wissen an.
– Wenn Sie schon einiges über ein bestimmtes Thema wissen, dann können Sie mehr oder weniger den Inhalt erraten.
3. Ich muss jedes Wort verstehen, sonst bringt es nichts
Wenn sie mit einem für sie zu „schweren“ Audiotext konfrontiert sind, geben viele Lerner schnell auf, weil sie mit dem Text nicht klar kommen. Es wird „zu schnell“ und „zu undeutlich“ gesprochen, und der Zuhörer hat den Faden verloren. Demotiviert schaltet er das Radio bzw. den Fernseher ab.
Dabei ist es nicht wichtig, jedes Wort zu verstehen, sondern den Gesamtsinn des Textes zu erfassen. Mit der Zeit und mit zunehmender Erfahrung verstehen Sie immer mehr.
Ferner ist es durchaus sinnvoll, eine Weile gar nichts von sich erwarten zu müssen. Das heißt, Sie erwarten, dass Sie gar nichts verstehen und hören einfach zu. Denn:
Es ist unheimlich wichtig, sich an die Aussprache und Betonung verschiedener Sprecher zu gewöhnen.
Sie gewöhnen sich an die „Musik“ der Sprache – Betonung, Aussprache, Floskeln, usw.
Sie eignen sich unbewusst die Ausdrucksweise an und verstehen dabei mit der Zeit die gesprochene Sprache viel leichter, weil Sie ja Erfahrung aufbauen.
Um das zu erreichen, benutzen Sie die Sprache als „Hintergrundmusik“ – Sie erwarten gar nichts von der Sprache, nur dass sie da ist.
4. Ich muss den Text mitlesen (und verstehen), sonst kann ich das Audio nicht verstehen.
Es ist natürlich durchaus hilfreich, den Text mitlesen zu können. Dabei kann man das gesprochene und das geschriebene Wort miteinander vergleichen.
Viele Menschen brauchen die Sicherheit, die ihnen der geschriebene Text gibt. Wenn der Lerner fast alles versteht, ist das für ihn ein Erfolgserlebnis. Der Lerner will etwas verstehen können, und so sucht er Texte aus, die er verstehen kann. Wenn er diese Texte versteht, sucht er schwierigere aus. Das ist auch okay.
Aber wenn der Lerner überzeugt ist, es sei unmöglich, eine Sprache zu verstehen, ohne mitzulesen, dann schränkt er sich selber ein. Irgendwann kommt (und zwar zwangsläufig) der Punkt, an dem er die Sprache verstehen kann, ohne mitlesen zu müssen.
Wenn man akzeptiert, dass es in Ordnung ist, anfangs nichts zu verstehen, und trotzdem weiter daran arbeitet, fängt man an, allmählich mehr zu verstehen.
5. Ich muss zuerst alles im Kopf übersetzen, sonst verstehe ich gar nichts
Diese Strategie schränkt den Lerner nicht nur ein, das Mitübersetzen ist fast unmöglich (außer von sehr erfahrenen Dolmetschern) und auch überhaupt nicht notwendig. Außerdem tut es der Lerner häufig sowieso nicht – trotz seiner eigenen Behauptung.
Wenn Sie schon ein bisschen von der Sprache verstehen, und dieses Bisschen noch einmal hören, dann übersetzen Sie nicht in Ihrem Kopf, sondern verstehen sofort.
Es ist tatsächlich der Fall, dass man eine Sprache verstehen kann, ohne vorher im Kopf zu übersetzen. Oft berichten Menschen, dass sie ganz genau verstehen, was gesagt wird, jedoch keine passende Übersetzung in ihrer eigenen Sprache finden können.